Kontext und Ziele für eine Regelung zur Überlastanzeige Anzeige der Gefährdung bzw. Überlastung Gefährdungs- und Überlastungssituationen Ist absehbar, dass Arbeitsaufgaben aus eigener Kraft nicht mehr so wahrgenommen werden können, dass Schäden oder Fehler nicht mehr ausgeschlossen sind, wird eine Überlastungs- oder Gefährdungsanzeige gestellt: ein meist schriftlicher Hinweis an den Arbeitgeber bzw. die Führungskraft auf einen Mangel. Beschäftigte sind verpflichtet, ihrem Arbeitgeber oder Vorgesetzten mitzuteilen, wenn die Sicherheit oder Gesundheit bei der Arbeit gefährdet ist. Sie informieren damit über potenzielle Gefährdungen von Kunden, Patienten des Unternehmens oder von Beschäftigten selbst. Ursachen können Überlastungen durch personelle Unterbesetzung, organisatorische Mängel oder unzureichende Arbeitsbedingungen sein. Die vorliegenden Vereinbarungen zeigen: Nur wenige Regelungen haben ausschließlich die Überlastungsanzeige zum Thema, oft wird sie im Rahmen übergeordneter Themen wie z.B. der Arbeitszeit mitgeregelt. Aber auch die Regelung kennzahlengesteuerter Arbeitsorganisation ist gelegentlich mit dem Thema Überlast verknüpft. Nicht immer ist die Interessenvertretung von Anfang an und verbindlich an der Auswertung und betrieblichen Bearbeitung der Überlastungsanzeigen beteiligt. Für Beschäftigte gibt es häufig keine verlässlichen Verfahren, die sie über den Umgang mit dem aufgezeigten Mangel oder mit der Gefährdung auf dem Laufenden halten. Zudem ist oft nicht eindeutig geregelt: Wer entscheidet, ob überhaupt eine Überlastung vorliegt oder nicht? Die Auswertung zeigt auch: Es gibt viele gute Gründe für Interessenvertretungen, sich des Themas anzunehmen. Das Instrument der Gefährdungsoder Überlastungsanzeige kann den betrieblichen Dialog zu Belastungen in Gang setzen, möglichst bevor die Gesundheit der Beschäftigten beeinträchtigt wird. Es kann aufzeigen, wo die Arbeitsorganisation überdacht werden muss und wo zu wenig Beschäftigte eingesetzt sind. Von allen Seiten ernst genommen und konsequent umgesetzt ist die Anzeige von Überlast ein wichtiger Baustein im betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz. In vielen Unternehmen und Verwaltungen sind die Personaldecken inzwischen ziemlich ausgedünnt. Die Arbeitsbelastung ist in der Regel hoch, mehr Effizienz, mehr Produktivität, mehr Output sind Anforderungen, die in der täglichen Arbeit zur Norm gehören. Wenn Arbeit nicht mehr zu schaffen ist, weil es einfach zu viel ist, dann entsteht nicht selten eine Überlastungssituation für die betroffenen Menschen. Qualität leidet, Fehler häufen sich, Menschen leiden. Was kann man dagegen tun? Wie kann man gegensteuern und für Entlastung sorgen? Mehr Personal einstellen, wäre eine nahe liegende Antwort. Doch dies wird nur in den seltensten Fällen die Lösung sein, auf die man sich wird einigen können. Ein fast vergessenes Instrument ist die Überlastanzeige. Vor allem in Gesundheitsberufen ist sie ein Mittel, um einerseits zu hohe Belastungen zu signalisieren: Die Arbeit am Menschen kann zu Gefährdungen führen, wenn durch Überlast die Fehlerhäufigkeit wächst. Überlastanzeigen sind dafür da, auf eine Gefahrensituation aufmerksam zu machen. Sie zeigen an wo Arbeitsqualität womöglich Schaden nimmt und dass ernsthafter Handlungsbedarf besteht. Für die Analyse wurden 24 betriebliche Vereinbarungen der Jahre 1992 bis 2014 ausgewertet. Es wird gezeigt, wie Überlastsituationen mit dem Instrument der Überlastanzeige betrieblich geregelt werden können und wie betriebliche Akteure das Thema aufgreifen. Die Auswertung verfolgt dabei nicht das Ziel, Regelungen zu bewerten, die Hintergründe und Strukturen in den Betrieben und Verwaltungen sind uns nicht bekannt. Ziel ist es, betriebliche Regelungspraxis abzubilden, Trends aufzuzeigen, Hinweise und Anregungen für die Gestaltung eigener Vereinbarungen zu geben. Wenn Unternehmen nach mehr Produktivität streben, bedeutet das meist eine größere Arbeitsbelastung für die Beschäftigten. Der höhere Arbeitsdruck ist unter anderem eine Folge der globalisierten und in Teilen deregulierten Wirtschaft: Stellen werden eingespart, mehr Aufgaben sind in der gleichen Zeit zu erledigen, Beschäftigte stehen weltweit in Konkurrenz. Eine kennzahlengetriebene Arbeitsorganisation verändert zudem die Anforderungen an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Spielräume schrumpfen. Andererseits fallen äußere Zwänge weg. Das heißt beispielsweise, dass bestimmte Aufgaben nicht mehr genau zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort auszuführen sind. Zugleich steigt der Druck, denn die Verantwortlichkeiten haben sich verschoben, der Einzelne ist zunehmend zuständig für Leistung und Qualität. Wird beim Zulieferer nicht genug produziert, steht - möglicherweise am anderen Ende der Welt - die Produktion still. Ist der Kunde nicht zufrieden mit dem Produkt oder die Patientin nicht hinreichend versorgt, steht die oder der
einzelne Beschäftigte in der Verantwortung. Dass die Organisation der Arbeit und die dahinter stehenden Strukturen als kaum beeinflussbar wahrgenommen werden, erhöht die Belastung. Überlastanzeigen sind dafür da, auf eine Gefahrensituation aufmerksam zu machen: Gefährdet sein kann die Sicherheit oder die Gesundheit von Kunden, Patienten oder der Beschäftigten selbst. Auch wenn ein Schaden wie z.B. Auftragsverlust für das Unternehmen droht, kann das durch eine Überlastanzeige kenntlich gemacht werden. Ursprünglich in der Pflege eingesetzt, können Überlastanzeigen auch über die Gesundheitsbranche hinaus signalisieren, wo es hakt im Betrieb, wo zu wenig Personal eingesetzt wird, wo ständig Dinge aufgeschoben und Aufgaben neu priorisiert werden müssen. Nimmt man sie ernst, kann die Anzeige von Überlastungen und/oder Gefährdungen ein erster Schritt sein, die Arbeitsorganisation zu verbessern und die Gesundheit von Beschäftigten zu schützen. Sie kann ein Mittel sein, auf Missstände aufmerksam zu machen, für Belastungen zu sensibilisieren und (betriebs)politischen Druck auszuüben. Allerdings dürfen die Hürden nicht zu hoch sein, das Verfahren muss einfach und transparent sein und die Beschäftigten dürfen keine Nachteile fürchten. Zudem muss der Betriebs- oder Personalrat nachhalten können, dass aus den Anzeigen auch Handlungen folgen, Verfahren dazu können in Betriebsvereinbarungen festgelegt werden. Zu den Begrifflichkeiten: Gebräuchlich sind Überlastanzeige, Überlastungsanzeige, Gefahrenanzeige, Gefährdungsanzeige, Entlastungsanzeige, Rückstandsanzeige oder Qualitätsanzeige. Letztere markiert, dass Qualitätsstandards nicht eingehalten werden können. Der Begriff Entlastungsanzeige macht eine wesentliche Funktion deutlich: Beschäftigte können sich durch eine Anzeige selbst schützen, und den Arbeit geber mit in die Verantwortung nehmen (vgl. Kapitel 5.2). Die Gewerkschaft ver.di favorisiert in bestimmten Bereichen den Begriff Gefährdungsanzeige. Denn er verdeutlicht, dass Leib und Leben von Patientinnen und Patienten in Gefahr sein kann (vgl. ver.di-Broschüre ''Gute Arbeit im Krankenhaus''). Der Begriff Überlastung kann zudem so ausgelegt werden, dass es sich um ein individuelles Problem der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers handelt. Wie die Anzeige letztlich benannt wird, hat keinerlei rechtliche Auswirkungen. Auch die als Entlastungsanzeige bezeichnete Anzeige kann Beschäftigte vor Haftung schützen